AN ÖSTERREICH

Lange vor dem Ersten Weltkrieg sah Franz Grillparzer die Gefahr des Übergangs aus der „Humanität durch Nationalität zur Bestialität“. Deren grausigen Gesichter ließen „Die letzten Tage der Menschheit“ in dem Realitätendrama von Karl Kraus erscheinen.

In diesen Jahren von 2022 – 2030 ist Österreich, 1914 den „Krieg um die Welt“ auslösend und 1918 aus den Schlachtbänken der Geschichte ausgetreten, in die weltgeschichtliche Lage versetzt, „Die ersten Tage der Menschheit“ als Alternative zur selbstzerstörerischen Endphase des hundertjährigen Kriegs einzuläuten: die friedliche Koexistenz vieler Ethnien, Religionen, Kulturen und Zivilisationen in einem gemeinsamen „Haus des Menschen“ auf der Basis einer verbindlichen, evidenten Grundüberzeugung über die wahre, von jedem einsehbare Natur des Menschen.

Aus deren Geltung ist vornehmlich das Finanzwesen durch die Ergänzung des Profitprinzips durch das Benefitprinzip in den Dienst der Menschheitsentwicklung zu stellen. Die daraus resultierende Kultur des Füreinander-Wirtschaftens integriert die Errungenschaften rund um IR 4.0 (Fourth Industrial Revolution) und AIS (Artificial Superintelligence) in die globale Zivilisation zu deren Nutzen, indem die Autonomie und Identität der Menschen gewahrt und die Gefahr ihrer Auflösung und existentiellen Irritation gebannt wird.

Das Fehlen einer Menschen verbindenden identifikatorischen Idee und von wirklichkeitsgemäßen Ordnungskonzepten konnte in den aus der Universität Wien hervorgegangenen und von 1992 – 2010 in 7 Bänden publizierten Forschungen zur Kultur- und Geistesgeschichte Österreichs von 1400 – 2000 namens „Verdrängter Humanismus – Verzögerte Aufklärung“ als Grund für das Scheitern der Donaumonarchie aufgewiesen werden. Nachdem damals die Reformhoffnungen infolge des Todes des Thronfolgers Franz Ferdinand zunichte gingen, musste die Möglichkeit, das getrennt und konfliktbeladen Gehaltene durch die Kunst ausgleichender Politik zusammenzubringen, zurückgestellt werden.

Da die Europäische Union in vergleichbarer Weise zu scheitern droht, ist Österreich aufgrund der neutralen Position, seiner historisch gewachsenen Beziehungen und seiner geografischen Lage herausgefordert, die aufgeladenen Gefahrenpotenziale abzubauen und insbesondere das Verhältnis zu Russland und zu Asien aus den stärksten Motiven des Verständnisses der geltenden Werte und der Achtung vor den Nöten der Beteiligten zu bereinigen und produktive Kooperationen einzugehen, die den geographisch-geoökonomischen Tatsachen des eurasischen Kontinents entsprechen.

Zuallererst ist die Strategie der Spannung und die Ideologie des „Clash of Civilisations“ zugunsten des „Dialogs der Kulturen“ abzubauen. Dieser geht von „konkreten Menschen“ (Vaclav Havel) aus und ist mit Intentionen der weltweiten friedlichen Koexistenz anzureichern. Es ist zu verbinden, was zusammengehört und als verbunden eingerichtet werden muss: Die Menschheit wächst trotz aller Differenzen zusammen. Diese von Österreich zu bewerkstelligende Friedensmission ist Angelegenheit der Politik der gesamten Bürgerschaft und ihrer Vertreter als Teil derselben. Da die Krise und ihre unerhörten Eventualitäten alle betrifft, sind auch alle für ihre Bewältigung verantwortlich und in die Gestaltung des europäisch-asiatisch-afrikanischen Miteinanders mit ihren Initiativen, Erfahrungen, Fähigkeiten und Ideen einzubeziehen.

Die Vereinigung „Nouvelle Alliance“, im Herbst 2000 anlässlich des Kongresses „Europa im Wandel“ mit Ilya Prigogine in Wien gegründet, trägt diese Initiative zu einer fundamentalen globalen Verständigung aus ihrem bereits in dem Namen angedeuteten Selbstverständnis und aus der Einsicht in die geschichtlich gewachsene österreichisch-ostmitteleuropäische Aufgabe und die kulturelle Verantwortung mit den Forderungen nach Frieden, Ausgleich und Wohlergehen.

Es ergeht an die Menschen in Österreich der Aufruf, die Kräfte für diese entscheidende Aufgabe der Schaffung von Friedensverhältnissen zu gewinnen. Im Verein mit der Bundesregierung ist das Menschenmögliche zu tun, das über Jahrhunderte vorbereitete „Wunder“ einer transkontinentalen Einigung der Menschheit zu bewirken und dem Friedenswillen der Menschheit in einer wahren „Neuen Weltordnung“ zu entsprechen.

Die mit dem „Great Reset“ und anderen ambitionierten Szenarien verbundenen Hoffnungen auf eine Bewältigung des Weltproblems sind weniger über kreative Zerstörungen zu erfüllen als über das Handeln aus Erkenntnis und die Kunst des Gestaltens, wie sie Friedrich Schiller darstellt:

„Das große Bedenken also ist, daß die physische Gesellschaft in der Zeit keinen Au genblick aufhören darf, indem die moralische in der Idee sich bildet, daß um der Würde des Menschen willen seine Existenz nicht in Gefahr gerathen darf. Wenn der Künstler an einem Uhrwerk zu bessern hat, so läßt er die Räder ablaufen; aber das lebendige Uhrwerk des Staats muß gebessert werden, indem es schlägt, und hier gilt es, das rollende Rad während seines Umschwunges auszutauschen. Man muß also für die Fortdauer der Gesellschaft eine Stütze aufsuchen, die sie von dem Naturstaate, den man auflösen will, unabhängig macht.“

Friedrich Schiller, Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Brie-
fen, 3. Brief

Österreich präsentierte sich vor der finsteren Zeit des 20. Jahrhunderts als Geistes- und Kulturmacht, stellvertretend seien der „Wiener Kreis“ mit der Zeitschrift „Erkenntnis“, die „Wiener Schule“, Ernst Mach, Ludwig Boltzmann, Franz Brentano, Sigmund Freud, die „Secession“ und die neue Musik erwähnt. Wenn auch dem Aufstieg des geistig-kulturellen Lebens jäh ein tiefer Fall in das Irrationale folgte, ist das damals in Wissenschaft, Kunst und Bildung Angelegte heute gegen die Fortsetzung des Niedergangs zur Entfaltung zu bringen. Im Gegenzug zur Drohung gegenseitiger Vernichtung und zu den Beschwörungen und Planungen kriegerischer Auseinandersetzungen ist von Österreich die Alternative des kosmopoli-
tisch-ganzheitlich orientierten, aufbauenden Weltverhältnisses anzubieten.

Die wiederentdeckten Wurzeln der souveränen Einstellung zur eigenen Bestimmung zeigen sich verwoben mit den Idealen und Werten der geltenden kulturellen Leitbilder, wie sie den Weltgemeinschaften zugrunde gelegt erscheinen. Das Verständnis dieses kohärenten Geflechts ergibt die Basis für einen weltweiten Dialog, für ein „Weltgespräch“, in dem Menschen einander als Menschen entdecken und sich aus den Verhängnissen befreien, bloß Mittel für die Zwecke der Intentionen anderer zu sein – mithin sich in ihrer „Nouvelle Alliance“ zu finden. Zu beherzigen ist:

„Den Blick aufs Ganze gerichtet, zeigt sich die Frage der sinnvoll geordneten Verschmelzung
des zwischenstaatlichen mit dem innerstaatlichen Recht als eine Grundfrage des im Werden
begriffenen Weltstaates, viel steht auf dem Spiel.
Es geht darum,
* ob sich der Übergang zu den neuen Strukturen evolutionär oder zerstörerisch vollzieht,
* ob dem Menschen rechtliche Sicherheit genommen, bevor ihm eine neue gewährt wird
* ob der Mensch von fernen anonymen Zentralen gelenkt oder von seinen in Freiheit Beauf-
tragten betreut wird,
* ob eine Weltgemeinschaft entsteht, in der Humanes, Gewachsenes, überblickbar Wirkli-
ches, Heimat oder von Bürokraten diktierte Ideologien ihre Residenz haben.“

Hans R. Klecatsky: Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Europäischen Union, in:
Recht und Europa, Wien 1997, S. 77.

Aufgrund seines Schicksals ist Österreich dazu prädestiniert, mit der Durchführung dieses Weltgesprächs eine Aufgabe von wahrer „nationaler Tragweite“ anzugehen, die – nachdem die doomsday-clock auf 100 Sekunden vor Zwölf gerückt wurde – nichts weniger bedeutet, als die drohende thermonukleare Auseinandersetzung der Weltmächte auf einer übergeordneten semantischen Ebene zu entscheiden, auf der die widerstreitenden Gegensätze ihre Vereinbarung finden.

Die EU-Ukraine-Russland-Krise ist ein dringlicher Anlass für eine unmittelbare Intervention in Abstimmung der Bürgergesellschaft mit der Bundesregierung und den zuständigen öffentlichen Stellen.

Zugleich ist mit diesem Weltgespräch die Chance zu ergreifen, das europäische Einigungswerk unter der Idee „Europa als das Haus des Menschen“ jenseits der Tabus weiterzuführen und die Konflikte aus ganzheitliches Gestaltungsinteressen zu bereinigen Nach dem Vorschlag dew Ministerpräsidenten Indiens, Narendra Modi ist ein G.1 – G-alle – Gipfeltreffen einzuberufen, das prinzipiell alle Menschen in die Zukunftsplanungen im Hinblick auf die Fragen nach der gemeinsamen Zukunft einbezieht.

Die erwähnten Forschungen zur Geistesgeschichte Österreichs erbrachten die Diagnose eines pathologischen Syndroms, eben der Verdrängung des Humanismus und der Verzögerung (Verweigerung) von Aufklärung. Mit der Initiierung des Weltgesprächs unter Menschen als Ausdruck lebendiger Zivilgesellschaft und der Einladung zu einem G-1 – G-alle-Gipfeltreffen, gleichsam zu einem ersten allgemeinen Menschheitskonzil, unterzieht sich Österreich der notwendigen und sinnvollen Therapie, um die irreparablen Schädigungen der conditio humana abzuwenden – dies auch im erweiterten Interesse auch für die Menschheit.

Anstatt dem „Great Reset“ zu huldigen, entspricht es dem österreichischen Wesen eher, die Freiräume des Dialogs bis zur Initiierung dieses aus den kleinsten Anfängen entsprießenden dynamisch-lebendigen „Weltgesprächs“ auszuschöpfen, um die unhaltbaren Situationen abbauen zu helfen; aus dem Willen einzelner entsteht unter den vielen eine Kultur der Verständigung.

Das zur absoluten Macht gedrängte digital-optimierte Maschinensystem wird in seine menschlichen Zwecken dienstbare, intelligenzbasierte Selbständigkeit entlassen, ehe es die Physis in Beschlag nimmt und die organischen Lebensstrukturen absorbierend schleichend zerstört. Der souveräne Wille von Menschen weist die Absichten ab, das Menschsein in Kalküle, Algorithmen und biotechnologisch konstruierte Programme aufzulösen.

Mit der real werdenden Idee der Nouvelle Alliance formiert sich in der Allianz von Zivilgesellschaft und Universitas ein Akteur, der den Übergang der Gewalt-, Aneignungs- und Kriegsparteiungen in die Lebensformen der Erkenntnisgesellschaft vorbereitet.In dieser weltgeschichtlichen Metamorphose vom Gedanken zum Handeln aus Erkenntnis erreicht Europa den Status der Hochkultur, geschaffen aus der Fülle ihrer unmittelbaren Lebensumstände, den geistigen Gütern und praktischen Errungenschaften. Aus der sich zwischen den Herzen der Menschen entwickelnden Erkenntniswirklichkeit geht die zivilisato-
risch-kulturelle Gestaltungsmacht auf die Träger von Benefitintentionen über. Die Kunst der sozialen Gestaltung beginnt zu „regieren“:

„Ein kriegerisches Jahrtausend verlassend, könnten wir eine utopische Hoffnung hegen, daß
nämlich der Mensch des dritten Jahrtausends der eigenen starren und argwöhnisch feindseli-
gen Denkweise überdrüssig werden und flexibles, verständnisvolles, Brücken bauendes, aben-
teuer- und dialogbereites Denken höher schätzen könnte. Der Krieger verschwindet von der
Tagesordnung, es kommt der Spieler, der Mensch der Phantasie, es kommen die Künstler der
verschiedenen Berufe, die das jenseits des Bürgers Befindliche mit dem Bürgerlichen vereinen.
Am Ende des zweiten Jahrtausends begibt sich ein neues anthropologisches Ideal auf den
Siegeszug, das Ideal des dienenden Soldaten wird abgelöst vom Ideal des denkenden, initia-
tiven, verantwortungsvollen, zivilen Spielleiters.“

aus: György Konrád, „Die europäische Nation als Aufgabe der Zukunft“, Eröffnungsrede zum „Internationalen Schriftstellertreffen Berlin“ am 3. 12. 1998 im Haus der Kulturen der Welt, Der Tagesspiegel, 6. 12. 1998, Seite W 3

Im Falle einer österreichweiten Einigung auf diese „Aufgabe von nationaler Tragweite“ sei-
tens der zivilgesellschaftlichen Interessen mit den Agenden der Bundesregierung bestehen
folgende Vorschläge:

Die Organisation eines „G-1, G-alle Gipfeltreffens“

Anzustreben und zu verwirklichen ist, was Narendra Modi vor der UNO in New York vorgeschla-
gen hat: Eine G-1, G-alle-Versammlung vorzubereiten, die alle Menschen zur Beschäftigung mit
der Frage „In welcher Gesellschaft und Weltordnung wollen wir in Zukunft leben?“ anregt und
anhört („Today, we still operate in various Gs with different numbers. India, too, is involved in
several. But, how much are we able to work together as G1 or G-All?”, General Assembly of the
United Nations, 27. 9. 2014)

Im Idealfall geht dazu die Initiative von der Bundesregierung in Kooperation mit Vertretern der
Zivilgesellschaft aus.

Die integrative Gestaltung von Nouvelle Alliance als Organ der Zivilgesellschaft – Die ersten Tage der Menschheit

Der Ausdruck „Nouvelle Alliance“ wurde dem Buch „La Nouvelle Alliance. Métamorphose de la Science“ von Ilya Prigogine und Isabelle Stengers entnommen. Er weist auf den Auftrag hin, den Focus der Interessen vom „Sein“ auf das „Werden“ zu lenken, auf die Entfaltung der Wirklichkeit in Metamorphosen. Als Arbeitsgemeinschaft wurde „Nouvelle Alliance“ im Herbst 2000 anlässlich des Kongresses „Europa im Wandel“ mit Ilya Prigogine u. a. in Wien gegründet. Die Idee der „Nouvelle Alliance“ ist mit dem Ideal des Dialogs von Mensch und Mensch und Mensch mit Natur als Basis der „Wende“, die, 1989 begonnen, in diesen Jahren von 2022 – 2030 fortzusetzen und zu vollenden ist.

Nouvelle Alliance ist demnach mehreres: Ziel, Prozess, Methode, Medium, Ideal, Ordnung, Erfüllung, Ergebnis, Aufbruch, Kultur, Gemeinschaft, Projekt, Unternehmen, Akteur, Kosmopolitismus, …

Was im Gefolge dieses Schreibens in Gang kommt, wird als Beitrag „Die ersten Tage der Menschheit“ aufgefasst, die das Gegenbild zu Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ zeichnen. Nouvelle Alliance beendet für Österreich als Ausdruck des Gegenwartsbewusstseins von Menschlichkeit die Spaltung von Regierung und Zivilgesellschaft, indem letztere ihre Funktion und ihre Aufgaben im Sinne des demokratisch-republikanischen Ideals sukzessive erfüllt.

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