Emigrantin sein

Tatjana Goritschewa, geboren 1947 in Leningrad, lebte lange Zeit in dieser Ideologie. Sie hatte Philosophie und Radiotechnik studiert, war kommunistische Jugendführerin und Philosophiedozentin, als sie, 26-jährig, an ihrer Lebenslüge fast zerbrach. Sie flüchtete nachts in ein exzessives Leben, versuchte mit Yoga wieder herauszukommen und wurde gläubig. Tatjana begegnete Menschen, die ihr Leben veränderten, sie gründete die erste christliche und frauenrechtsfördernde Bewegung in der Sowjetunion, hielt christlich-philosophische Seminare und veröffentlichte zwei Zeitschriften im Untergrund. Damit wurde sie zur politisch Verfolgten. Vor der Olympiade in Moskau 1980, hatte Tatjana Goritschewa die Wahl ins Gefängnis zu gehen oder zu emigrieren.

In ihrem Buch „Von Gott zu reden ist gefährlich – meine Erfahrungen im Osten und im Westen“, schrieb sie über ihre Gefühle als Emigrantin. Obwohl sie einen starken Glauben hatte, äußerlich alle Freiheit genießen konnte, bei ihren vielen Vorträgen beklatscht wurde, hatte Tatjana mit Depressionen zu kämpfen:

„Ich bin auf einem anderen Planeten, nicht nur der Verstand muss sich erneuern, …sondern auch der Körper. Sogar er muss die früheren Gerüche, Farben, Erwartungen vergessen…schutzlos…

Leere ist es, die Emigranten umgibt. Blumen ohne Duft, Menschen ohne Geschichte, Bäume ohne Namen… Emigration stellt den Menschen vor die Entscheidung: Entweder Untergang in der völligen Leere, oder Überwindung des Nihilismus durch die Liebe.

Ich bemerkte, wenn ich im Herzen Stille und Licht habe, so wird auch alles um mich herum wieder lebendig und begeistert. Sogar die steinernen Frankfurter Wolkenkratzer beginnen zu atmen.“

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