Wie gelingt eine Welt ohne Armut?

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Monon e.U. veröffentlicht.

Keiner geringeren Frage haben sich 10 Teilnehmer des ZukunftJetztModellCamps im August in Klingenmünster gewidmet. Ich habe zu dieser Frage einen 3-stündigen Workshop angeleitet, bei dem wir mithilfe des WeltSystemModells versucht haben, diese Frage strukturiert anzugehen.

Das WeltSystemModell

Das Weltsystemmodell wurde von Tony Hodgson entwickelt und dient der Strategieentwicklung ebenso wie als Bildungswerkzeug für systemisches Denken.

Die zwölf Knotenpunkte haben den Anspruch, alle Faktoren abzudecken, die unser Leben auf dem Planeten ausmachen. Inhaltlich können die Knoten auf die vier Felder planetares Leben, Ressourcenströme, menschliche Verantwortung und Lebensqualität gruppiert werden.

Aktuelle Trends, Herausforderungen und die Zusammenhänge darstellen

Wir haben drei Gruppen gebildet und jede der drei Gruppen bekam 4 Knotenpunkte zugewiesen. In der ersten Runde haben diese Gruppen für jeden der Knotenpunkte die aktuellen Herausforderungen und Zusammenhänge mit der Armut erarbeitet und im Plenum in die Gruppe zurückgebracht. Die Fragestellung war:

“Was ist der wichtigste Trend hinsichtlich Armut, der sich im Hinblick auf die Knoten, die ihr habt, abzeichnet?”

Zusammenhänge zwischen den Herausforderungen waren bald klar. Ohne wirkliche partizipative Entscheidungsfindung und Mitspracherechte der Beteiligten (Knoten Steuerung) ist Wasserknappheit (Knoten Wasser) als ein Faktor für Armut nicht lösbar. Der Knoten Wasser ist ebenso eng verbunden mit Ernährungs(un)sicherheit (Knoten Essen) oder dem Knoten Biodiversität und einigen anderen.

Intervention: bedingungsloses Grundeinkommen in den meisten Ländern

In dem Workshop, der mit Szenariotechniken arbeitet, ist vor Beginn der zweiten Runde eine Intervention durch den Spielleiter vorgesehen. Der Spielleiter präsentiert eine überraschende Wendung. Die Teilnehmer wurden nun instruiert anzunehmen, dass die meisten der wirtschaftliche erfolgreichen und aufsteigenden Ländern (USA, Japan, Kanada, Länder der EU, Indien, Brasilien) ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt haben und die meisten Länder der Welt im Begriff sind dies ebenfalls in den nächsten 5 – 6 Jahren zu tun.

Mit dieser Verschiebung des Rahmens wurden die Gruppen dann in die zweite Runde an Diskussionen geschickt: Was ändert sich durch diese Wendung und welche Chance liegen in euren Knoten um eine Welt ohne Armut zu erreichen?

Löst ein BGE jetzt das Armutsproblem?

Es wurde bald deutlich, dass ein Grundeinkommen alleine das Armutsproblem noch nicht lösen würde.

Die Gruppe, die den Knoten “Wohlstand” hatte, unter den auch das Finanzsystem fällt, merkte an, dass trotz bedingungsloses Grundeinkommen das Finanzsystem noch die gleichen systemischen Fehler haben würde, wie z.B: der eingebaute Wachstumszwang oder die Umverteilungsproblematik.

Andere Gruppen merkten an, dass ein Grundeinkommen andere wichtige Aspekte nicht garantieren würde wie z.B. den Zugang zu sauberen Trinkwasser oder politische Mitbestimmung.

Von keiner Armut zu ganzheitlichen Wohlstand

Da das bedingungslose Grundeinkommen per Definition einen monetären Wohlstand sichert, haben sich die Gruppen zu anderen Formen von Wohlstand Gedanken gemacht. In der Plenumsdiskussion kristallisierten sich dann viele weitere Formen des Wohlstands heraus:

Beispiele für Aspekte von ganzheitlichem, globalen Wohlstand, die während des Workshops ans Licht kamen: Wissenswohlstand, Zeitwohlstand, “Ich fühle mich wohl”, Entscheidungswohlstand (Partizipationsmöglichkeit), Aufteilungsgerechtigkeit (z.B. von knappen Ressourcen)

Außerdem stand am Ende der zweiten Runde der Wunsch im Raum eine positive Formulierung für “keine Armut” zu finden.

Entsprechend haben wir unser Ziel umformuliert auf eine Welt die einen globalen, ganzheitlichen Wohlstand fördert.

Ganzheitliche Lösungen

In der abschließenden Runde, die als Plenum stattfand, war das ganzheitliche Lösungen zu entdecken. Folgende Fragestellung war auf der Tafel vermerkt:

Welche Lösungen (neue oder existente) fördern den globalen, ganzheitlichen Wohlstand in mindestens 2 Knoten, ohne für uns aus jetziger Perspektive offensichtlich negative Auswirkungen auf einen oder mehrere andere Knoten zu haben?

Lösungen wurden vorgeschlagen. Dann wurde vermerkt, in welchen Knoten diese Lösung eine Änderung bringen würde. Abschließend wurden alle Teilnehmenden noch mal befragt in sich zu spüren, ob sie einen Knoten wahrnehmen, auf den diese Lösung negative Auswirkung haben würde. Kamen keine Widerstände, wurde die Lösung als ganzheitliche Lösung erkannt.

Wasser als Gemeingut & bessere lokale Steuerung

Die erste Lösung, die diskutiert und von allen Teilnehmenden als ganzheitlich erkannt wurde, war die Re-Etablierung von Wasser als Gemeingut und die Verwaltung desselben in lokalen Steuerungsgruppen. Diese Lösung würde sich auf jeden Fall positiv auf die Knoten Wasser, Steuerung, Lebensraum auswirken und hätte vermutlich weitere positive Effekte auf Wohlbefinden, Biosphäre, Energie und Ernährung. Niemand in der Gruppe hatte das Gefühl, es würde negative Auswirkungen auf einen anderen Knoten geben.

Gemeinschaftswohnprojekte

Eine weitere Lösung kristallisierte sich aus dem Bereich Lebensraum. Durch Gemeinschaftswohnprojekte mit angebundener Lebensmittelproduktion würden sich positive Effekte auf die Bereiche Energie, Ernährung, Gemeinschaft und Wohlbefinden ergeben. Vermutlich würden sich weitere synergetische Effekte auf andere Knoten feststellen lassen. Auch hier hatte niemand in der Gruppe das Gefühl, dass es Knoten geben würde, die von einer solchen Entwicklung negative beeinflusst wären. Einzige Bedingung, die genannt wurde, war, dass die Teilnahme an einem solchen Gemeinschaftswohnprojekt freiwillige bleiben müsse und nicht ein neuer vorgeschriebener Standard.

GRADIDO-Spiele spielen

Ein weiterer Vorschlag war es, mehr und öfter GRADIDO-Spiele zu spielen und dabei eventuell auch mit lokalen Banken zu kooperieren. Deine direkte positive Auswirkung auf den Knoten Weltbild (wie nehme ich das Geldsystem bzw. Fülle oder Mangel in meinem eigenen Leben dar), Wohlstand und Steuerung. Durch das veränderte Bewusstsein nahm die Gruppe an, dass sich auch Verbesserungen hinsichtlich anderen Knoten wie z.B. Biosphäre ergeben würden.

Auch hier habe es keinen Widerstand gegen die Lösung im Hinblick auf eine negative Auswirkung auf einen anderen Knoten. Die Notwendigkeit der Dezentralisierung des Bankensystems wurde mehrmals genannt.

Schuldenschnitt und Vermögensobergrenzen

Eine weitere synergetische Lösung, die eingeworfen wurde, war die Idee eines globalen Schuldenschnitts, um Akteure wie Staaten wieder handlungsfähig zu machen, in Kombination mit einer Vermögensobergrenze, die den Anwuchs des Kapitals begrenzen würde. Neben den offensichtlichen positiven Auswirkungen auf den Knoten Wohlstand würde es positive Auswirkungen auf Steuerung und Gemeinschaft haben.

Auf die Frage, ob das negative Auswirkungen auf einen anderen Knoten haben würde, gab es keine Wortmeldung. Viele Teilnehmer verspürten aber, dass diese Lösung nicht umsetzbar sei. Ein Teilnehmer bemerkte, dass es dazu erste eine Änderung im Weltbild der breiten Massen benötigen würde. Andere Teilnehmer merkten an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, dass mit innerhalb der aktuellen politischen Landschaft und (mangelnden) Demokratie hinsichtlich des Finanzwesens eine solche Lösung umsetzbar erscheint und es erst in diesen Ebenen Änderung benötigt.

Während die Lösung also als potenziell positive aus dem Wertebild der Teilnehmer heraus wahrgenommen wurde, blieb offen, wie man eine solche Lösung implementieren könnte.

Wasserstoffantrieb

Eine Teilnehmerin schlug vor, dass der Wasserstoffantrieb eine Lösung sein könnte. Nach einer kurzen Konversation zum Vorschlag wurden synergetische Natur dieser Lösung jedoch nicht sofort sichtbar. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit habe ich als Moderatorin die Diskussion an dieser Stelle dann abgebrochen und beschlossen, den Workshop zu beenden.

Fazit

Was dürfen wir aus dem Workshop letztendlich mitnehmen? Interessant finde ich, dass sich sehr klar gezeigt hat, dass monetärer Wohlstand (im Szenario in Form eines quasi globalen Grundeinkommens) nur ein kleiner Teil der Lösung ist. Ganzheitlicher Wohlstand ist vielschichtiger und facettenreicher und vermutlich abhängig von der Kultur, in der wir leben. Während es klar materielle Aspekte von Wohlstand gibt, wie etwas den Zugriff zu Wasser oder Ernährung, hat Wohlstand aber eben verschiedenste Ebenen, welche nur teilweise durch Geld beeinflusst werden können.

Bemerkenswert zu den beiden Lösungsvorschlägen zum Geldsystem ist, dass diese konkrete Vorschläge zur Ergänzung und Adaptierung Geldsystems schuldig bleiben. Inwiefern dies durch die Vorwegnahme der Einführung eines Grundeinkommens mitgestaltet wurde, lässt sich augenblicklich nicht auswerten. Der Vorschlag mit den Geldspielen bewegte sich im Endeffekt mehr auf der Bewusstseins- und Vermittlungsebene, um mehr Menschen zu befähigen, sich reflexiv mit dem Geldsystem auseinanderzusetzen. Der zweite Ansatz, der konkreter war, wurde eben von der Gruppe als nicht umsetzbar abgetan, da vermutet wurde, dass es Dynamiken geben würde, die diesen Lösungsansatz unterbinden.

All dies deckt sich mit dem Verständnis, dass unser Geld- und Wirtschaftssystem äußerst komplex und dynamisch ist und sich einer vollständigen Analyse in diesem begrenzten zeitlichen Rahmen sowie doch kleinen und sehr homogenen Arbeitsgruppe entzieht. Eine Wiederholung des Workshops mit verschiedensten Akteuren, die unterschiedliche Perspektiven vertreten, würde den Wissenstand dazu maßgeblich verbessern.

In Anbetracht dessen, war es auch wenig verwunderlich, dass 2 von 4 synergetischen Lösungen eigentlich außerhalb des Geld- und Wirtschaftssystems lagen. Lösungen, die die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse (innerhalb der planetaren Grenzen) über den Lösungen innerhalb einer Gemeinschaft vorsehen. Lösungen, die von den am Workshop beteiligten ohne (größere) Hürden, dirket umgesetzt werden können.

Dass die gemeinschaftliche Verwaltung von Gemeingütern (in den beiden Beispielen Wasser bzw. Wohn- und Landwirtschaftsraum) oftmals zu den besten Lösungen führt, hat auch schon Nobelpreisträgerin Elenor Ostrom mit ihrem Lebenswerk bewiesen. Dass nun die Teilnehmer des Camps diese Lösungen herausgearbeitet haben, spricht dafür, dass die Praktik des Commoning – wie bei Silke Helfrich und David Bollier eindrücklich beschrieben – von vielen als ein aktiver Teil des Wandels und der Transformation hin zu einer Welt mit globalen, ganzheitlichem Wohlstand empfunden wird.

Auch die abgebrochene Diskussion zu einer Technologie als Lösung deckt sich mit aktueller Literatur zu nachhaltigen und regenerativen Gesellschaften. Verschiedene Autoren wie Daniel Christian Wahl, Tobias Luthe, Sonia Buglione, Rainer Schlüther und Charles Eisenstein bezweifeln, dass Technologie (alleine) der Schlüssel zu einer enkeltauglichen Zukunft sein wird.

Camp-Dokumentation

Nachfolgend noch die Dokumentation des ganzen Camps zum Nachsehen:

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