Zinsen – Wucher oder Dienstleistungsgebühr

Zinsen gab es bereits, bevor es Geld gab. Entliehenes Saatgetreide musste im alten Mesopotamien nach der Ernte gewöhnlich mit 100% Zins zurückgezahlt werden. Das hat natürlich dafür gesorgt, dass gerade jene, die mehr Getreide besaßen als sie essen konnten, immer reicher wurden. Jenen, denen der Hunger kein Getreide für die Aussaat übrig ließ, gerieten durch diese Zinsforderungen unweigerlich in eine Schuldenspirale und schließlich in Schuldsklaverei. Zins und Schuldsklaverei waren deshalb schon vor dem Entstehen des Alten Testaments immer wieder kritisiert und bekämpft worden.

Silvio Gesells Robinsonade bringt die Kritik am Naturalzins gut auf den Punkt: Als Robinson dem mittellos gestrandeten Freitag seine Vorräte an Nahrung und Kleidung gegen Zins abtreten will, rechnet Freitag ihm vor, wie der Wert seiner Vorräte durch Mäuse, Schimmel und andere natürliche Prozesse mit der Zeit schwindet. Robinson könne deshalb froh sein, wenn Freitag ihm alles Geliehene in einem Jahr ohne Aufschlag durch frische Güter ersetze. Zinsen auf Naturalien in jeder noch so geringen Höhe sind schlicht Wucher.

Beim Geldzins liegen die Dinge etwas anders. Ohne Kreditzins gibt es keinen Kredit, ohne Kredit gibt es in einer Geldwirtschaft keinen Handel, denn Handel erfordert seit der Bronzezeit Handelskapital (siehe auch Artikel: Hortgeld).

Geld muss hergestellt, verwahrt, transportiert, gezählt, gebucht – eben verwaltet werden. Das Verleihen von Geld ist eine Dienstleistung, die bezahlt werden muss. Auch besteht das Risiko des Kreditausfalls, also des Verlustes des verliehenen Geldes. Zinsen, die das Verlustrisiko und die Verwaltungs­kosten nicht übersteigen, sind deshalb nicht nur gerechtfertigt, sie sind notwendig.

Derart begrenzte Zinseinnahmen führen nicht zu wachsender Vermögensbildung, da diese Zinseinnahmen für Betriebskosten der Bank wieder ausgegeben werden müssen und so wieder in Umlauf kommen.

Digitale Version der Tafel 5 der Geldausstellung von Samirah Kenawi


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