… war bis vor dem 1. Weltkrieg, besonders im Sommer, der beliebteste Treffpunkt für Juden, auch aus dem Ausland. In dieser so wunderschönen Kultur- und Kurstadt, mit ihren Konzerten und Promenaden, dem Kurpark, der malerischen Umgebung, begegnete man sich am liebsten in den Spielsälen, den Caféräumen und unter den Säulen, im Freien, bei vorzüglichster Zigeunermusik. Das „Schopf“, war zu einer Art von Nachtklub für die ganze Familie geworden. Es lag südlich der heutigen Kaiser Franz Josef Brücke (vulgo Löwenbrücke), am Beginn der Weilburgstrasse.
Arnold Bettelheim, der Sohn eines reichen Kaufmanns, war abends mit seinem geliebten Mädchen aus Wien nach Baden gekommen, um den Vater zu bitten, sich mit Sidonie verloben zu dürfen. Diese aber war das uneheliche Kind einer Bedienerin der Kaufmannsfamilie. Arnold suchte und fand seinen Vater im Schopf. Da Arnold im Betrieb seines Vaters arbeitete, war er von ihm abhängig, auch was die Wahl seiner Braut betraf. Vater Bettelheim erwartete für seinen Einzigen eine „gute Partie“, Arnold aber war in Sidonie so verliebt, dass er nur sie heiraten wollte.
Was befürchtet worden war, traf ein, sogar noch viel schlimmer als erwartet. Der Vater verhöhnte seinen Sohn, erklärte den beiden, dass er eine solche Verbindung niemals dulden würde, nie und nimmer dürfe ihm eine solche Schwiegertochter ins Haus kommen. Das arme Mädchen brach in Tränen aus und stürzte hinaus auf die Straße, ließ sich im Dunkeln der Weilburgstraße auf eine Bank nieder, die gegenüber der hellerleuchteten Terrasse des Cafés stand. Anfangs bemerkte sie nicht, dass am anderen Ende der Bank ein kleiner, unscheinbarer älterer Mann saß, sie schluchzte vor sich hin.
Da sprach sie der Alte an und fragte nach ihrem Kummer. Sie schüttete ihm ihr Herz aus. Er nickte dazu und erzählte, dass er diese Situation kenne. Auch er war ein uneheliches Kind, seine Mutter Dienstmagd gewesen, bei einem Grafen in Galizien. Der Sohn des Verwalters hatte ein Verhältnis mit ihr, durfte aber nicht heiraten. Seine Mama war davongejagt worden. So habe er alle Menschen zu hassen gelernt. Er stellte sich dem Mädchen vor: „Noah Schapira!“
Sidonie kannte diesen Namen nicht, aber alle vermögenden Juden kannten ihn als Finanzgröße, der wie ein Meteor auf der Wiener Börse aufgegangen war. Sie wusste nicht, dass sie sich einem der größten und kühnsten Spekulanten anvertraut hatte, dessen Finanzgeschäfte in aller Munde waren, einem Mann, der märchenhafte Gewinne erzielte, von dem man in allen Kaffeehäusern Wiens, wo Juden verkehrten, sprach. Ein solches Finanzgenie war noch nie zuvor aufgetaucht. Allerdings. Schapira war ein Einzelgänger, der sich vor aller Welt zurückgezogen hatte, außerhalb der Börse ein anonymes Leben führte und dabei alles eher als ein guter Jude war. Niemals sah man ihn im Tempel, Aufforderungen für wohltätige Zwecke zu spenden ließ er unberücksichtigt, er zahlte nicht einmal die Kultussteuer. Er war – so hieß es – trotz riesenhafter Einkünfte ein krankhafter Geizhals, der in schäbigen Kleidern herumlief und im Sommer in Baden weit außerhalb wohnte, um keine Kurtaxe zahlen zu müssen. Auch in den Schopf ging er nie. Er ersparte sich seine Zeche, wenn er da draußen auf der dunklen Weilburgstraße vor der Terrasse auf der Bank saß, wo man ja trotzdem die Zigeunermusik hören konnte.
Jetzt aber gab er sich einen Ruck, stand auf und sagte zu Sidonie: „Kommen Sie mit mir zurück ins Café – ich werde Ihre Sache in Ordnung bringen…“
Sidonie folgte, willenlos, dem alten Mann, dessen Art sie sehr beeindruckt hatte. Und so betrat dieser das vorher gemiedene Café Schopf und pflanzte sich vor dem Tisch auf, an dem Vater und Sohn Bettelheim saßen. Arnold wollte zu Sidonie, aber ihr Begleiter schob ihn energisch fort und sagte: „Zuerst muss ich mit Ihrem Vater reden… Mein Name ist Noah Schapira!“ Jetzt erhob sich auch der alte Bettelheim ganz erstaunt und rief: „Ist es die Möglichkeit? Sie sind der berühmte Noah Schapira, von dem alles spricht? Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Schapira! Womit kann ich dienen?“ Dieser sagte nur: „Ich will wegen dieses Mädels mit Ihnen sprechen…. Sie ist mein Mündel,“ erklärte Schapira zum maßlosen Erstaunen von Sidonie, „und darum will ich die Sachlage klären….. Sie bekommt von mir 600.000 Kronen, ist das also in Ordnung?“ Der alte Bettelheim wusste nicht, wie ihm geschah. Diese Tochter seiner Bedienerin entpuppte sich plötzlich als Mündel des großen geheimnisvollen Finanzmannes, der ihr über eine halbe Million Mitgift geben wollte….
„Ich will, dass dieses Mädel, dem das gleiche Los wie meiner armen Mutter blühen sollte, ein besseres Schicksal habe… Ich kann es mir leisten. Bisher habe ich die Menschen gehasst und nur das Geld geliebt. Heute will ich einmal das tun, was man gewöhnlich ein gutes Werk nennt. Also, ich möchte Ihre Antwort!“
Was blieb dem maßlos verblüfften Vater Bettelheim übrig als zuzustimmen.
„Dann können wir ja gleich Verlobung feiern!“ rief Schapira – Kellner – habt ihr Champagner? Aber nicht das gewöhnliche, billige Zeug, etwas Extrafeines!“ Der herbeieilende Kellner meinte darauf, dass es noch 2 Flaschen des allerdings teuersten Champagners der Welt, von der berühmten Marke „Veuve Cliquot“ gebe. Schapira ließ sie bringen, heute sollte das Café Schopf an ihm verdienen.
Arnold hatte sich indessen der strahlenden Sidonie genähert, seinen Arm liebevoll um sie gelegt. Die Champagnerpfropfen knallten gegen die Decke, so dass das ganze Café zusammenlief, denn es war höchst selten, dass im Schopf Champagner getrunken wurde.