Fotocredit ©: Barbara Michel-Alvarez

Tante Noras Brief

Zum Seminar des Forums Seitenstetten vom 6.-8. November 2022 habe ich eine Nachlese von Josefa Maurer erhalten. Ich habe sie mit Interesse und überwiegender Zustimmung gelesen. Was mir an den von ihr transportierten Inhalten gefiel und auffiel, dazu möchte ich nun Stellung nehmen – sei es auch nur
als ein Spatz mit etlichen Tropfen Wasser im Schnabel. Denn es ist fraglos richtig, dass jeder Einzelne zur Beschaffenheit der Welt beiträgt und, für mich ebenso fraglos, aufgerufen ist, sie auch bewusst mitzugestalten. Hiermit stelle ich folgende Tropfen aus meinem Schnabel zur Diskussion:

Für eine überwiegende Mehrheit sind die Kriterien zur Bewertung von Verhältnissen und Ereignissen
in ihrer Umwelt und der Welt schlechthin tatsächlich sehr oberflächlich: die Bequemlichkeit ist zu verlockend, von “Autoritäten” ausgestreute Beurteilungen kritiklos zu übernehmen. Meiner Meinung
nach müssen sie aber nicht von ihrem “Drang, andere zu beherrschen” zur Selbstbeherrschung befreit werden; vielmehr zu Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein, um genau diesem Drang der Obrigkeiten standhalten zu können. Viel zu lange schon sieht die Menschheit sich genötigt, auf ihr Recht zur Notwehr gegen Übergriffe aller Art zu verzichten. Man hat gelernt, dass Selbstverteidigung nichts bringt, außer eventuell noch Schlimmeres. Man hat gelernt, nicht aufzumucken, und das ist zur selbstverständlichen Haltung geworden, die gar nicht mehr in Frage gestellt wird. So sind wir allmählich zu seltsamen, unfreiwilligen Pazifisten verkommen: bedauernswerte Schwächlinge, die nun kein Nein, nicht einmal gefühltes, mehr vertreten können. Die Corona-Maßnahmen haben uns das überdeutlich vorgeführt. “Fürchte die Schwachen, wenn sie wütend versuchen, stark zu erscheinen”, sagte Rabindranath Tagore. Dann fallen sie über Sündenböcke her: die, welche noch imstande sind, selbständig zu denken und zu urteilen. – Wie möchte unter solchen Umständen Ihr Forum erreichen, dass “Menschen sich nicht mehr manipulieren lassen”?

Sie verstehen ganz richtig, dass es 1) “einen Bewusstseinsschritt in der Bevölkerung” braucht und
2) eine Möglichkeit, Ihre Ideen umzusetzen. Entwicklungsschritte des Bewusstseins kann man nur leider nicht erzwingen und sie geschehen, falls, nicht über Nacht; manchmal überraschend durch das Trauma einer Katastrophe. Seite 10: “muss erst alles zusammenbrechen, damit …” Wahrscheinlich ja, aber dann ist es leider zu spät.
Sie sehen eine Chance im Gelingen “ehrlicher Dialoge”, aber mit wem? Dialogwillige und -fähige
sind eine erschreckende Minderheit! Und die brauchen auch keine Dialoge miteinander, sind sie doch ohnehin einer Meinung; sie diskutieren das Problem “aus dem Herzen heraus”, d.h., aus derselben
Absicht, ihm rechtzeitig Herr zu werden. In der schieren Unmöglichkeit, über unpopuläre Ideen mit genügend Andersdenkenden und Nichtdenkenden in konstruktive Gespräche zu kommen, sehe ich Ihre größte Schwierigkeit! Beides zusammen, 1) und 2), ist die Achillesferse Ihrer Bemühungen in der Friedensarbeit.

Von “Vernetzung” ist viel die Rede, davon, dass es ein Netz des Guten bereits gebe; es würden nur
zu viele fake news verbreitet, die mutlos machten. Mag sein, dass das nicht nur Wunschdenken ist – es wäre eine reale Chance. Doch sehe ich die Ziele derer, die nach Veränderung streben, als zu weit gestreut. Die Interessen der sicher zahlreichen Gruppierungen reichen von biologisch richtiger Ernährung über Energiewandel, Tierschutz, Krankenbetreuung usw. usw. bis zur Genderideologie. Das gleicht einem Mosaik aus Puzzlesteinen, die kein erkennbares Bild ergeben. Alle stehen nämlich vor derselben Frage: wie setzen wir unsere Ideen um? Alle haben ja das gleiche Problem: die geistige Unbeweglichkeit der Masse, einen unveränderten status quo. Das Trägheitsgesetz gilt nicht nur in der Physik. Um eine Kugel ins Rollen zu bringen, braucht es einen Anstoß, und der könnte m. E. nur in der Erziehungspolitik erfolgen. Gerade da tut sich aber gar nichts in puncto Umdenken. Man erfindet immer mehr differenzierte Bildungszweige mit diffusen Inhalten, klingenden Namen, Titeln und Diplomen: dasselbe Bild von Zersplitterung, Vereinzelung und Fehlen einer zielführenden Basis. Gemeinsamkeit erkenne ich nur in parallelen Spiralen, die sich nach unten drehen.

Davon abgesehen, dass eine Verlagerung des Schwerpunkts von Ratio zu Empathie und Intuition erst
nach Jahren Früchte tragen könnte, weiß ich aus Erfahrung und Beobachtung, dass auf diesem Sektor
die Eltern nicht mitspielen würden, sie sind generell auf “Erfolg” im Außen bei anhaltender Nivellierung
der Ansprüche ausgerichtet.

Was bleibt also vom Großen Aufbruch in eine bessere Zukunft? Möchten wir uns dem Great Reset
anschließen, der auch nur sie ins Visier genommen hat, weiter nichts? Beantworten Sie, bitte, diese Frage für sich selbst und Ihre Ideen zum universellen Frieden. Dann wird Ihnen umgehend klar werden: es gibt nur einen Weg – den des zivilen Ungehorsams à Ia Gandhi. (Stellt euch vor, es ist Krieg, und niemand geht hin.) Auch er (dieser Weg – Anm. d. Red.) ist “Krieg”, fordert Mut und zahlreiche Opfer. Erinnert Euch dann:
die Corona-Impfung sollte diktatorisch durchgezogen werden – und 20% gingen nicht hin! Was hat das mit Geldordnung zu tun, mit Klimawandel, Naturschutz usw. usw.? Die Welt steht vor mannigfachen Problemen, die Menschheit aber nur vor einer Entscheidung: wollen wir Selbstbestimmung oder Knechtschaft? Über diese Entscheidung (die jeder für sich treffen muss) führt der Weg in die Zukunft, und hier gibt es kein “Brückenschlagen”: ein bisschen Freiheit zum Schein und zur Hauptsache Ducken unter die Knute “von oben”.

Frieden ist Leben in Freiheit: frei nicht nur von Waffengewalt, Krieg im herkömmlichen Sinn! Auch von Fremdbestimmung durch gekaufte oder verblödete Politiker mittels Legislativen, die längst aus dem Ruder gelaufen sind; überholt, veraltet, ausgedient. Tempora mutantur et nos in illis: die europäischen Völker von heute sind nicht mehr die von einst. Wer einmal Blut geleckt hat – oder eine gewisse Freiheit genossen – wird es immer wieder wollen. Deshalb lautet meine Antwort auf Ihre Frage nach der Umsetzbarkeit Ihrer Wünsche: ehe Sie versuchen, Ihre spezialisierten = ausgrenzenden Ideen umzusetzen, sollten Sie allen die Gefahr des Verlusts ihrer persönlichen und der Freiheit insgesamt klarmachen. Das Bekenntnis zur Willensfreiheit ist allen Menschen inherent, nur auf diesem Weg sind sie unisono erreichbar. Stellen Sie in einfachen, einleuchtenden Beispielen die drohenden subjektiven Folgen für den jeweiligen Gesprächspartner dar, ohne Panikmache, ganz matter-of-fact. So werden Sie mehr für den Bewusstseinswandel tun können als per Dialogen über “Fachidiotie”, die doch im Grunde die Wenigsten interessiert. Nur so kann “persönliches BiId zum Bild der Gemeinschaft werden”, eine geistige Einstellung zum Allgemeingut.

Wer mit Überzeugung spricht, spricht automatisch in “Verbindung mit dem Herzen”. Das bringt mich zurück zum Anfang meines Schreibens – zur unverzeihlichen Duldsamkeit. Herr Matzenberger möge mir vergeben, an dieser Stelle muss ich auf Folgendes aufmerksam machen: wenn das Herz richtig fühlt, sich gegen Unaufrichtigkeit, Ungerechtigkeit und schädliche Entwicklungen sträubt (denn das alles schmerzt), wird ihm sogleich die bekannte Forderung aus der Bergpredigt entgegengehalten, aus deren Missverständnis heraus die Vertreter verbrecherischer Vorgehensweisen und friedensfeindlicher Beschlüsse augenblicklich zu armen Opfern mutieren (ihrer Erziehung oder bedauerlicher Irrtümer). Das schmerzende Herz von deren Opfer hätte ihnen dann aus Liebe zu verzeihen! Also keine Kritik zu äußern, geschweige denn etwas gegen sie zu unternehmen… Das verstehe ich nicht als echte Friedensarbeit, sondern als verhängnisvolle Umdeutung der Realität: Verführung anstelle von Führung! Das so wünschenswerte Vertrauen in das empathische Urteil der rechten Gehirnhälfte wird auf diese Weise untergraben, die analytische Auslegung einer Textstelle triumphiert.- Um mit Jesus zu sprechen: Texte sind für den Menschen da, nicht der Mensch für den Text.

Glücklicherweise sind Herzen schwerer zu belügen als “gebildete Leute”, die keins haben, weil ihre Bildung nur aus Linkshirnigkeit besteht. Unglücklicherweise hat die fatale Erfolgsgeschichte der sogenannten “Feindesliebe” dazu geführt, dass alles unreflektiert einfach hingenommen wird. (Und die
irrtümlich unter Schutz Gestellten wissen das bestens zu nutzen.) Da sich verlerntes Selbstvertrauen bekanntlich nicht in aller Eile wiederherstellen Iäßt, wird die “neue Gesellschaftsordnung” – so nötig sie ist, noch lange auf sich warten lassen. Nebenbei bemerkt: die Bergpredigt des NT wurde nie gehalten, sie ist eine willkürliche Zusammenstellung von bekannten Sprüchen, die auf eine viel ältere Spruchsammlung zurückgeht; das wissen die Theologen heute alle. Die Phrase “Ich aber sage euch”, die sie wie aus einem Guss erscheinen lässt, wurde als rhetorische Wendung schon im AT verwendet. Es ist auch nicht feststellbar, welcher Ausspruch daraus de facto von Jesus stammen könnte. Somit besteht kein Anlass, sklavisch an dem einen zu kleben und eine fragwürdige Interpretation desselben zu tradieren und verbreiten.

Sehr beeindruckt hat mich das Ergebnis der Recherche über die Friedenszeit in der Bukowina zwischen
1775 und 1918. Es bestätigt, was ich mir schon lange denke: “Systemzwänge” gibt es nur, wenn es schlappe Politiker gibt, die sich Zwängen beugen oder korrupte, die mitmachen, oder die, wie auch Sie vermuten, Zusammenhänge gar nicht durchschauen. Das Gros der Politiker in Westeuropa ist in ihren Ämtern einfach überfordert. Sie profilieren sich nicht durch Charakterstärke, Blick fürs Wesentliche und Vernunft allgemein, und brauchen auch keinen Befähigungsnachweis – die Minister wechseln Ressorts wie die Hemden: heute Schuster, morgen Schneider … Die Bürger überwachen, ohne wachsame Instanzen über sich, scheint ihre Vorstellung von politischer Arbeit zu sein.

Der Traum von einer “bottom up”- Demokratie wird sich nicht erfüllen, weil der bottom (lat. plebs) geistig-seelisch nicht reif dafür ist – und die Hierarchien on top selbst so am bottom angekommen sind, dass sie keine verlässlichen Führungskräfte mehr stellen können. Für jene, die mangels Eigenkompetenz auf Führung angewiesen sind, wäre das aber unerlässlich. Denn Entscheidungsträger in Spitzenpositionen von Politik, Finanz und Wirtschaft, die nicht einmal die 10 Gebote Mose selbstverständlich beherrschen, regieren per Angst und Druck. Gäbe es Männer, denen man berechtigterweise vertrauen könnte, würden sie deren positivem Einfluss genauso kritiklos beipflichten, wie es eben der Entwicklungsstufe des bottoms entspricht – und alles liefe am Schnürchen! Ich kann mich also nur ratlos fragen: wo nehmen wir solche her, und wie entledigen wir uns der ersteren?

In einem Seminar zum Thema Geldordnung steht natürlich dieses Thema im Mittelpunkt: Geld im Vorgespräch, Geld in den Vorträgen, Geld in den Gesprächen danach. Trotzdem möchte ich mir dazu eine Bemerkung erlauben: man darf nicht außer Acht lassen, dass unser Verhältnis zu Geld nur ein Aspekt ist in der Torte von 360°, nur ein Symptom unserer kranken Gesellschaft, allerdings ein besonders auffälliges. Was darüber hinaus auffällt und alle Verrücktheiten miteinander verbindet, ist die zunehmende Rücksichtslosigkeit, Respektlosigkeit und Werte-Umwertung infolge einer beispiellosen, von Profiteuren bewusst herbeigeführten Ignoranz. Wir sind eine Missbrauchs-gesellschaft! (die alles und jedes missbraucht, nicht nur das Geld) und entwickeln uns zurück ins finstere Mittelalter: Faustrecht und Leibeigenschaft heißen nur heute anders, z.B. WHO, Zentralbank …
Globalisierung intensiviert die Wahrnehmung von nah/fremd, sie bringt nicht Fortschritt und Frieden. Das “Wir-Gefühl” lässt sich nicht globalisieren, denn der Mensch ist genetisch ein Kleingruppenwesen und naturam expellas furca, tamen usque recurrit = Natur treibt man auch mit der Mistgabel nicht aus! Deshalb gefällt mir am besten der Beitrag, der regionale Verbände als Lösung sieht, regionale Verwaltungseinheiten, Thementage und Minidialoge – im Gegensatz zu einer künstlichen Überregionalität, die der Mensch auf seinem derzeitigen Entwicklungsstand noch gar nicht bewältigen kann.

Im Hinblick auf den 360°-Rundumblick, der alle regionalen Erscheinungsformen einer Umbruchszeit einschließt, habe ich ein Friedensgebet entworfen, das meiner Ansicht nach zu allen passt, indem
es ein allen zugrundeliegendes Bedürfnis ausdrückt:

Herr – wir bedürfen der Ankunft des Lichts.
Gott – hör unser Schweigen.
Allgegenwärtig ist das Licht, und wir – erkennen es nicht!
Unzerstörbar ist das Licht, doch daran glauben wir nicht.
Wir selbst sind Licht – aber das spüren wir noch nicht.
Gott – wir bedürfen der Erfahrung des Lichts!


Nora Rosenhammer


Fotocredit ©: Barbara Michel-Alvarez

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