Der Streit der Körperteile

Ökumenische Andacht Forum Seitenstetten 2024

Niemand wusste hinterher genau, wie es zu einer solchen Eskalation gekommen war. Aber man muss auch sagen, dass Streitereien und Missgunst in ihren Zusammenkünften sowieso an der Tagesordnung waren – wobei, „Zusammenkommen“ ein irreführender Begriff ist: sind doch alle ohnehin Teil des großen Ganzen. In dieses EINE Setting hineingeboren. Unausweichlich aneinander gekettet.

Verschärft wurde der Ton der üblichen Geplänkel – nicht überraschend – von den „Machern“, den Aktivistinnen. Ja, es waren natürlich die MUSKELN, die (mit dem Rest des Körpers latent unzufrieden ob dessen Trägheit) wieder einmal das Thema der Mission aufs Tapet gebracht hatten.

„Man müsse etwas tun, man müsse endlich mehr tun”, „man müsste sich in Bewegung setzen”, “man müsse neue Gebiete erobern” …und “man solle gefälligst endlich politisch aktiv werden”. Öl ins Feuer gegossen hatte dann besonders der Herzmuskel, der Held, der nie eine Schlafpause macht, und der – wieder einmal – das Totschlagargument brachte: Wir würden im Leib Christi einfach zu wenig Liebe haben. Zu wenig Liebe für die Unterdrückten, Verlorenen und Schwachen da draußen…

Ihr könnt euch natürlich vorstellen, dass dies die anderen nicht auf sich beruhen lassen konnten, hatte man ja schon beim Wort Mission die Augen verdrehen und sich dagegen zusammen tun müssen: etwa die Drüsen, deren Fokus das Ausschütten von Entscheidungsträgerinnen und Keypersons mit wertvollen Informationen ist (kurz Hormone genannt), die Knochen, deren einziges Interesse die Stabilität und
Konservierung „wahrer“ Werte ist und die jede Flexibilität und Bewegung verabscheuen, dazu kamen auch noch die inneren Organe, was soll ich euch sagen: sämtliche Netzwerke und Dienste, die mit Stärkung und Entgiftung, mit Hirtendienst und Sozialarbeit beschäftigt sind, waren beim Stichwort des Herzens, man habe zu wenig Liebe und man würde zu wenig Außenwirkung haben, kollektiv eingeschnappt und knirschten mit den Zähnen.

Es wurde eine Grundsatzdiskussion zwischen konservativer Bewahrung und Flexibilität/Bewegung, zwischen Fokus nach innen oder Fokus nach außen, knochenhart oder Faszien-weich … die Atmosphäre wurde immer mieser, die einzelnen Stimmen immer lauter, aber so richtig Fahrt aufgenommen hatte die Eskalation erst, als sich die Bandscheiben darüber empörten, dass alle anderen in diesem Streit die Knorpelsubstanz vergessen würden: das Verbindende, den Frieden, gewaltfreie Kommunikation,
gendergerechte Sprache und so weiter.

Und während der linke Oberarm bereits Lobbytätigkeit mit dem rechten Bein betrieb, um sich zusammen endgültig vom Rest des Leibes zu distanzieren, während die Zehen klagten, nun endgültig im Burn-Out zu sein, der Magen dazwischenrief, ihm sei nur noch schlecht und der Brustkorb ernsthaft über Streik nachdachte („Nie wieder Konferenzen, Meetings, Tagungen oder Seminare mit den anderen!“) was natürlich die Lungenbläschen in Panik versetzte und die Atmung des ganzen Leibes kurzzeitig aussetzte …

In all dem Chaos gab es diesen Moment, wo als also zufällig alle streitenden Parteien zur gleichen Zeit Luftholen mussten, und da hörte man plötzlich Musik: Das Nervensystem hatte sich nicht am Schlagabtausch beteiligt, sondern spirituelle Einkehrtage organisiert und den Ischiasnerv zur Sprecherin bestimmt, die jetzt Stille nutzte: „Meine Lieben, ihr seid alle auf der falschen Spur, denn schließlich geht es doch einzig und allein um die Ausrichtung nach oben, den Glauben, Meditation und das prophetische Weiterleiten von dem, was das Haupt will…” Das Ganze wurde in einem liturgischen Singsang Marke amerikanischer Worship vorgetragen. Daraufhin waren sich alle anderen Parteien plötzlich sehr einig, denn die gefühlsbetonten sensiblen mystischen Nerven waren jedem Teil grundsätzlich ein Dorn im Auge: sowohl den konservativen Knochen als auch den missionarischen Muskeln als auch die ganze Verdauungsfraktion stellte sich jetzt gemeinsam gegen die Idee, es ginge bloß um die Anbetung des Hauptes.

Aber schließlich war es doch ein wenig leiser geworden – die Streitparteien waren langsam erschöpft. Mit Ausnahme zweier Teile, die nicht und nicht nachgeben wollten, überzeugt davon, die absolute Wahrheit über Seinen Leib jeweils auf die einzig richtige Art auszuleben… Und so wurden alle Zeugen des Schlagabtausches zwischen rechtem Schlüsselbein und der Bauchspeicheldrüse. Zwei so unterschiedliche Teile, die vehement auf die Richtigkeit ihrer Aufgaben und Funktion beharrten, gab es kein zweites Mal in diesem Körper. Lang, dünn, hart das Schlüsselbein auf der einen Seite, das sich wichtigtuerisch aufspielte: als zentrale Funktion des Schultergelenks und damit des starken rechten Arms, ohne welchen praktisch alles unmöglich sei, und zugleich in seiner Funktion als Leiter der Security für Herz und Lunge (die Rippen stimmten dem schon zu, und die Schulter konnte ja nicht wirklich etwas dagegen sagen); und auf der anderen Seite ein weiches Organ tief versteckt, den meisten unbekannt, welches sowohl für die richtige Zerlegung von Dogma und Ressourcen als auch für den Energiehaushalt zuständig war. Und das im Prinzip nur ein Argument kannte: „Insulin, Insulin, Insulin! – Dies sei der einzig wahre Auftrag in dieser Welt. Nichts anderes käme infrage!“

Es war nichts zu machen: beide beharrten stur darauf, dass sie allein, ja einzig ihre Bewegung (Skelett contra Verdauung) repräsentativ für das Christliche, das Humane, den Leib Jesu stünden. Es war an dem Tag kein üblicher Streit, es war eine Eskalation, die den Rest des Körpers dazu brachte, entweder verzweifelt Bauchspeicheldrüse auf die Seite des Schlüsselbeins ziehen zu wollen oder umgekehrt, oder aber (und das betraf einen sehr hohen Prozentsatz) sich nun endgültig vom Rest des Leibes zu verabschieden und sein eigenes Ding zu machen. Während dieser verheerende Prozess noch im Gange war, sich die Nerven spalteten in Wirbelsäule – kontra Organ-Fraktion, während bereits der linke und rechte Arm beschlossen, von nun an völlig unabhängig voneinander zu agieren, hörte man ein feines Piepsen aus den oberen Etagen. Oder eher ein Jammern. Wie sich bald herausstellte war es der Molar Nummer 17 (der mittlere Backenzahn rechts unten), der sich in Selbstmitleid suhlte. Er sei halt einfach nicht so wichtig wie alle anderen. Er werde nie gehört. Ob es ihn nur gäbe oder nicht, was würde das für einen Unterschied machen? Er war weder aktiv noch sensibel, weder eigenständig noch schön anzusehen.

Während sich also manche Körperteile bereits vom Rest entfernten, rief er voller Inbrunst aus: „Ja geht nur, macht doch, was ihr wollt, ihr habt wenigstens Leidenschaft und Aufgaben, aber ich bin hier nutzlos: bewegungslos und farblos und am Verzweifeln. Wisst ihr eigentlich, dass es mich überhaupt gibt?“ Nun, und das war der Moment, wo sich doch noch alles drehte. Denn mit Schrecken erinnerten sich alle Glieder an letztes Jahr und an die fürchterlichsten Zahnschmerzen, die beinahe im Tod der Backenzähne bzw. deren Wurzeln geendet hätten. Damals gab es keine Unterschiede zwischen den Körperteilen, dann jede einzelne Faser, jede einzelne Zelle bestand nur noch aus Schmerz. Von Kopf bis Fuß war man nur noch ein Zahn.

Am Ende dieses Tages war der rechte Backenzahn Nummer 17 beschämt … und zugleich froh, dass sein schlimmes Leiden offenbar zweimal dazu beigetragen hatte, dass der Leib seines Hauptes, dem er logischerweise sehr, sehr nahestand, doch noch irgendwie zusammengehalten hatte und endlich Einheit verspürte – wenn auch eine Einheit aufgrund von Miteinanderleidens …

EIN Leib
EINE Menschheit
EIN Planet
EIN Schöpfer
EINE Erlösung

VERSCHIEDENE Glieder
UNTERSCHIEDLICHE Zugänge
VERSCHIEDENE Ökosysteme
UNTERSCHIEDLICHE Kulturen
VERSCHIEDENE Lösungsansätze

Ich lese aus dem 1. Korintherbrief Kapitel 12, die Verse 12-26 [Neue Genfer Übersetzung]:
Kommentare in Rot sind aus der Predigt auf der „RAD1“-Tagung im Feb. 2024 Schließlich ist es beim menschlichen Körper folgendermaßen: unser Leib stellt eine Einheit dar, die aus vielen Teilen besteht; oder andersherum betrachtet: Er setzt sich aus vielen Teilen zusammen, die alle miteinander ein zusammenhängendes Ganzes bilden.


Und GENAU SO ist es bei CHRISTUS.
13 Denn wir alle – ob Juden oder Nichtjuden, Sklaven oder Freie – sind mit demselben Geist getauft worden und haben von derselben Quelle, dem Geist Gottes, zu trinken bekommen, und dadurch sind wir alle zu EINEM Leib geworden.

14 Und wie jeder Körper besteht dieser Leib aus vielen Teilen, nicht nur aus einem.
15 Wenn der Fuß behaupten würde: »Weil ich nicht die Hand bin, gehöre ich nicht zum Körper!«, würde er trotzdem nicht aufhören, ein Teil des Körpers zu sein.
16 Und wenn das Ohr behaupten würde: »Weil ich nicht das Auge bin, gehöre ich nicht zum Körper!«, würde es trotzdem nicht aufhören, ein Teil des Körpers zu sein.

17 Wenn der ganze Körper nur aus Augen bestünde, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur aus Ohren bestünde, wo bliebe der Geruchssinn?
18 Tatsache jedoch ist, dass Gott, entsprechend seinem Plan, jedem einzelnen Teil eine besondere Aufgabe innerhalb des Ganzen zugewiesen hat.
19 Was wäre das schließlich für ein Körper, wenn alle Teile dieselbe Aufgabe hätten?
20 Aber so ist es ja nicht. Wie ermüdend als Auge ein Ohr sein zu wollen. Sich ständig mit Magen oder Sprunggelenken zu vergleichen…

Es gibt einerseits viele verschiedene Teile und andererseits nur einen Körper.

21 Das Auge kann nicht einfach zur Hand sagen: »Ich brauche dich nicht!« oder der Kopf
zu den Füßen: »Ich brauche euch nicht!«

22 Nein, gerade die Teile des Körpers, die schwächer zu sein scheinen, sind besonders wichtig;

23 gerade den Teilen, die wir für weniger ehrenwert halten, schenken wir besonders viel Aufmerksamkeit; gerade bei den Teilen, die Anstoß erregen könnten, achten wir besonders darauf, dass sie sorgfältig bedeckt sind 24 (bei denen, die keinen Anstoß erregen, ist das nicht nötig).

24 Gott selbst, der die verschiedenen Teile des Körpers zusammengefügt hat, hat dem, was unscheinbar ist, eine besondere Würde verliehen.

25 Es darf nämlich im Körper nicht zu einer Spaltung kommen; vielmehr soll es das gemeinsame Anliegen aller Teile sein, füreinander zu sorgen.

26 Wenn ein Teil des Körpers leidet, leiden alle anderen mit, und wenn ein Teil geehrt wird, ist das auch für alle anderen ein Anlass zur Freude.


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