überparteiliches Miteinander in der Gemeindestube

Ing. Sieghartsleitner

Seitenstetten am 8. Mai 2015, Vortrag zusammengefasst von Josefa Maurer

In unserer Gesellschaft sollte es darum gehen, nicht alles haben zu müssen, auch nicht alles haben zu wollen und in die Beziehung unter uns Menschen zu investieren. Ich denke, das Wichtigste von dem, was wir aus der Bibel wissen, sind Fragen nach den Beziehungen zu Menschen und zu Gott. Unsere Aufgabe ist es, uns um Beziehungsfähigkeit zu bemühen, unter uns und zum Schöpfer.

Unser Problem ist, wie wir in einer Gesellschaft mit so viel Wissen über Detailfragen noch fähig sind, uns der laut Bibel wichtigsten Aufgabe, der Beziehungsfähigkeit, zu widmen.

Es wird dieses Bemühen heute oft belächelt. In der eigenen und auch in anderen Gemeinden wird immer wieder durch Egoismus und partikulares Denken auf das Ganze zu schauen vergessen.

Hirnforscher Gerald Hüther hat in seinem Buch „Kommunale Intelligenz“ beschrieben, was wir alle auch in der kleinsten Gemeinde, also in der Mikrowelt, tun können, um Menschen gemeinsam weiterzubilden. Ich bin machtlos vor der Not der Welt und jeden Tag ist mir fast zum Weinen, wenn ich den Fernseher einschalte und die Schicksale und die Armut der Menschen in aller Welt sehe und davon höre, was viele Menschen zu leiden haben. Auf der anderen Seite leben wir in Wirklichkeit in einem Paradies. Es ist wunderbar, etwas von der Natur, diesem Wunderwerk, zu verstehen. Und dazu gibt es den Menschen, der ein noch viel größeres Wunderwerk ist.

Oft scheint es, als würde der Mensch unersättlich werden, obwohl jeder weiß, dass niemand etwas ins Grab mitnehmen kann.

Ich sehe die kirchliche, pfarrliche und politische Gemeinde als die Mikrowelt, in der wir Menschen uns kennen, begegnen und gegenseitig herausfordern können. Als Bürgermeister habe ich versucht, diese Sehnsucht nach Wertschätzung und Anerkennung zu stillen. Es war mein Herzensanliegen nach Jahrzehnten großen Streites im Gemeinderat zwischen den Fraktionen. Nach beleidigenden Aussagen bei den Sitzungen und Überschriften in den Zeitungen und Artikeln, ist es gelungen, nach Anfangsschwierigkeiten, alle für einen neuen Weg des Umgangs miteinander zu gewinnen. Es kam zu einer neuen Beziehungskultur. Wir haben vereinbart, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen; dass wir auch das gelten lassen, was wir momentan nicht als besonders umsetzungsfähig halten; dass ich hinhöre, was der andere meint; dass ich ihn nicht abwerte auf Grund seiner Herkunft, seines Berufes, seines Vermögens. Wir haben auch vereinbart, ehrlich zu sein, wenn jemand eine Idee hat, sie weiter zu entfalten, aber dem zuzurechnen, der die Idee gehabt hat.

Ich habe dadurch erlebt, dass nicht nur die Beziehung zwischen den Parteien eine freundschaftliche wurde, sondern dass Menschen kreativ geworden sind, Ideen gehabt haben und dass auf einmal nicht mehr das Materielle das Wichtigste war.

Steinbach a. d. Steyr ist eine der finanzschwächsten Gemeinden im Bezirk Kirchdorf gewesen, mit leerstehenden Industriehallen, Geschäften und unbewohnten Häusern.

Wir sind unkonventionelle Wege gegangen, um eine ganze Reihe von Gebäuden zu sanieren. Kleine Betriebsgründungen wurden möglich, einer hat es bis zu 44 Arbeitsplätzen gebracht. 28 Unternehmen haben wir damals neu bekommen. Wir haben auch gelernt, diese Betriebsgründer und kreative Menschen gemeinsam zu würdigen, zu danken und das auch gemeinsam zu feiern.

Es kann nicht sein, dass jemand einfach nur fordert: „Wir brauchen wieder ein Lebensmittelgeschäft“, danach aber dorthin geht, wo vieles durch Sonderangebote billiger erscheint, z. B. in Großmärkten. 240 Haushalte haben damals unterschrieben, als unser neues Lebensmittelgeschäft 1999 eröffnete, quasi als Eröffnungsgeschenk, auch in Zukunft selber hier einzukaufen.

Wir haben auch einen ökumenischen Gebetskreis gegründet, wo wir für die Region Fürbitte eingelegt haben. Es ging um die Anliegen unserer Region, um unsere Probleme, Sorgen und Sehnsüchte.

Ich frage mich, was der Grund ist, dass in so vielen Familien Partner- und Generationsbeziehungen scheitern. Jedenfalls ist es selten der materielle Mangel, sondern was der Mensch so notwendig braucht: Er möchte vom anderen anerkannt, wertgeschätzt und nicht als Objekt behandelt werden. Er möchte vom anderen hören: „Wir sind dankbar, dass es dich gibt!“ Dann muss ich ihm aber auch etwas anvertrauen, ihm auch zur Entfaltung verhelfen. Gerald Hüther beschreibt so großartig, was sich dadurch im Gehirn tut, wenn das geschieht. Mir haben die Leute immer wieder gesagt: „Ja, euch ist es so schlecht gegangen, da ist es doch klar, dass man zusammenhilft!“ Natürlich helfen die Not und der Druck mit zum Umdenken. Aber es braucht ständig das Anreden, das Wollen. Ich muss jemanden anreden, sagen: „Du, komm herein, hilf uns, mach in einem Arbeitskreis mit, wir möchten auf deine Begabungen nicht verzichten. Auch auf deine Erfahrungen in Familie und Beruf wollen wir doch nicht verzichten. Oftmals hört man aber in Gemeinden, dass es heißt: „Übernimm doch die derzeit unbesetzte Funktion, du brauchst ja nichts tun, es ist nur wichtig, dass diese Position besetzt ist!“

Dieses Fehlverhalten, dieses Hindernis für fruchtbare Arbeit, gibt es nicht nur in den politischen Gemeinden durch Machtbesessenheit mancher Bürgermeister und Gemeinderäte.

Unsere Aufgabe, auch in den Pfarren, ist es, Leute hereinzuholen. So wie uns Jesus mit seinem Dienst am Menschen wertvoll gemacht hat, so sollten auch wir die Menschen um uns wertvoll machen. Wir sollten die Augen offenhalten und Wege sehen, auf denen die Menschen ihre Begabungen und Potenziale entfalten können. Damit erst erfahren wir: „Das kann sie oder er!“ 

Als ich Bürgermeister wurde, hörte ich: „Lass die Leute was tun, dass sie sich die Nase anrennen, danach hast du deine Ruhe!“ So entstehen sterbende Dörfer, in denen die Totenstille einkehrt. Die Aufgabe des Bürgermeisters aber ist zu schauen, dass die Leute erfolgreich sind, damit glückliche Menschen werden und lebendige Gemeinschaften entstehen, damit unsere Gemeinden sich zukunftsfähig entwickeln. Eine starke Hilfe kann von der Botschaft unseres christlichen Glaubens ausgehen, die uns sagt, dass jeder Mensch einmalig und wertvoll ist.

Ich war auch in der Wirtschaft tätig, hatte 184 Mitarbeiter und musste mich mit Menschenführung beschäftigen. Dabei entdeckte ich in den Paulusbriefen viele Anregungen für einen menschenwürdigen und wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeitern und Kunden.

Eine ökosoziale Marktwirtschaft wäre die Lösung vieler Probleme. Leider ist dieses Konzept ohne Beziehung zu unserem Schöpfer kaum lebbar. Denn es kommt die Frage: „Warum soll ich auf Vorteile und Macht verzichten, wenn ich bei den Wahlen gewonnen habe?“

„Warum soll ich auf einen Vorteil verzichten, wenn ich es irgendwo billiger bekomme?“

„Warum sollte ich…“

Die Kraft dafür hat der Mensch, wenn er sich vom partikularen und egoistischen Denken befreit und zum ganzheitlichen Denken für die Gemeinschaft entwickelt.

Es muss uns klarwerden, dass wir einander brauchen, die Jungen die Alten, die Alten die Jungen.

Es ist erstaunlich, welche Belastungen Menschen fähig waren, in den Kriegs- und Nachkriegsjahren zu tragen. Immer wieder wurde und wird erzählt, wie der persönliche Glaube dieser Menschen die Kraft dazu gegeben hat. Ist uns vielleicht in Zeiten des Wohlstandes und des Friedens diese Kraftquelle verloren gegangen?

Natürlich müssen wir Menschen tun, was wir tun können. Dann können wir vertrauen, dass Gott seinen Segen zum Gelingen unserer Arbeit schenkt.

Diese Erfahrung habe ich vielfach gemacht.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, bei meinem Abendgebet zu sagen: „Herr, du weißt, ich habe alles getan, was ich tun konnte. Ich habe mich wirklich sehr bemüht. Aber jetzt bist du dran!“

Grenzenlos dankbar, absolut angstfrei, macht es zu wissen, dass wir in der Hand des Herrn sind. Wenn wir darin bleiben, brauchen wir keine Angst mehr zu haben. Selbst ein großes Unheil wird eine gute Wendung nehmen.

Ich kenne viele Leute, die eine große Krise durchgestanden haben und nun mit voller Kraft neue, hoffnungsvolle Wege gehen.

Hier noch eine Geschichte, sie ist mir sehr wertvoll:

Alles Materielle, das wir im Dorf verbessern konnten, ist super. Aber das Aufregendste war, dass wir einen Alkoholiker gehabt haben, der schon aus einer Familie mit Alkoholproblemen gekommen ist. Auch die Frau hat getrunken, die Kinder wurden weggenommen, eine fürchterliche Geschichte. Als ich Franz beim Heimgehen an einem Freitag wieder einmal im Straßengraben liegen sah, dachte ich mir: „Die Häuser haben wir hergerichtet, aber Franz liegt immer noch, wie früher, im Graben. Ist er nicht wertvoller als ein Haus?“

Ich habe ihn in ein Beschäftigungsprojekt gebracht. Oftmals hat es mit ihm Ärger gegeben. Beim Eisstockschießen passierte ein schrecklicher Unfall. Franz lag anschließend mit einem Schädel-Hirntrauma 3 ½ Monate im Krankenhaus Steyr. Die Schwester hatte gefragt, ob er vielleicht ein Tier hatte. Ich habe das Gebell seines Hundes aufgenommen, damit wurde er geweckt. Franz war wund gelegen, er konnte nur eine Seite ein wenig bewegen, nicht mehr sprechen, nicht schreiben. Wie fürchterlich verzweifelt er war, konnte man an seinem Gesicht ablesen. Es gab keine Verwandten, die sich um ihn kümmern hätten können. Franz kam nach Meidling ins REHA-Zentrum. Auch dort habe ich ihn besucht. Die Schwester bat Herrn Großauer abzuholen, denn da „wäre nichts mehr drin“. Beim Heimfahren war ich ziemlich verzweifelt, da ich nicht weiterwusste. Plötzlich kam mir die Idee, bei den Gemeindebürgern seine Adresse mit der Bitte auszuteilen: „Bitte, schick ihm ein Foto von den Baustellen, wo er mitgearbeitet hat, irgend etwas Neues aus der Gemeinde und der Region, damit er weiß, dass wir ihn nicht vergessen haben.

Nach 14 Tagen bin ich wieder nach Meidling gekommen. Viel Post aus der Gemeinde ist inzwischen bei Franz eingelangt.  „Herr Bürgermeister, bei uns ist ein Wunder geschehen, Herr Großauer will Tag und Nacht nur noch trainieren und Therapie machen“, erzählte die Schwester. Nach 7 ½ Monaten ist Franz heimgekommen. Er betreibt selbst seinen eigenen Haushalt, er fährt ein Mopedauto, pflanzt trotz seiner großen Behinderung Bäume, hat Kleintiere und schreibt in einer Art von Tagebuch, wo er Fotos von seinem „2. Leben“ aufbewahrt: „Erst jetzt weiß ich, wie schön Leben ist.“ Obwohl ich ihn nie „missioniert“ habe, weil ich dachte, es wäre vollkommen zwecklos, er hatte keine Verbindung zum Glauben, schrieb er in sein Tagebuch: „Und alles aus Gnade“.

Warum wenden wir uns nicht dieser Haltung zu! Es ist schön, mit Freude zu sehen, wenn Menschen wieder Anteil nehmen am Gottesdienst, am Geschenk der Gemeinschaft. Warum zeigen wir nicht in der Pfarre, was Veränderung bewirkt.

Es tut uns gut, für Leute in den Fürbitten zu beten, die z. B. im Krankenhaus sind, oder zu danken, wenn jemand wieder geheilt nach Hause kommt.

Damit sind wir auch ganz im Einklang mit Papst Franziskus. Wir dürfen Gott aus ganzem Herzen danken, dass wir einen solchen Papst bekommen haben. Er rüttelt das Gewissen der Welt auf.

„Kehrt um“, ist ein Aufruf, unser Herz und unser Handeln zu ändern.

In den modernsten Medien werden die alten Dummheiten und Gehässigkeiten weiterverbreitet, das neue ganzheitliche Denken und Handeln muss von uns Menschen von Mund zu Mund weitergegeben werden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Menschen um sich haben, mit denen Sie bereit sind, diesen Aufbruch zu wagen. Ich wünsche Ihnen, dass bei Ihrer Arbeit der Gott des Universums, der eine so großartige Schöpfung geschaffen hat, auch aus Egoisten, aus Menschen, die nur sich selbst und ihren Vorteil suchen, Menschen werden mit Herz, Empathie, Verständnis und Liebe. Das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.

Schreibe einen Kommentar