Ursprünglich veröffentlicht bei Coopaa im Jänner 2023.
Unter dem Titel „Freiheit und Nachhaltigkeit – die Kunst der Transformation“ wurde vor allem die Frage zu klären versucht: Wollen wir wachsen oder wollen wir uns entwickeln? Diese Frage sei im 21. Jahrhundert keine der Technik, sondern eine der Kunst, der Lebenskunst.
„Nicht erst seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine stellt sich die Frage, wer sich im Streit um die globale Entwicklung durchsetzen wird: Offene Gesellschaften oder Autokratien? – Wenn wir eine demokratische und gerechte Weltentwicklung wollen, müssen wir uns ehrlich fragen, wie wir leben wollen, was uns Freiheit wirklich bedeutet, wie wir fairer verteilen und vor allem was wir tun können, um unsere natürliche Lebenswelt für uns und unsere Nachkommen global zu erhalten. Das erfordert Bildung, erweitertes Bewusstsein, postkonventionelles Denken und muss von einer solidarischen universellen Empathie getragen sein. Auf dieser Grundlage können dann nachhaltige technische, ökonomische, soziale und politische Innovationen entwickelt werden und Lebensstile entstehen, die nicht dem Wachstum, sondern einer menschengerechten Entwicklung dienen.
Stefan Brunnhuber verwies eingangs auf die Normalität von Krisen, sie seien (meist) Durchgangsstadien mit Wachstums- und/oder Veränderungspotential.
Das ‚moderne‘ Menschenbild (seit Descartes mit der Unterscheidung von Subjekt und Objekt) sei als Ursache der aktuellen, kumulierenden Krisen zu sehen. Darin stecke ja die Botschaft, jeder sei allein.
Brunnhuber sieht den Menschen als Mängelwesen, somit seien wir aufeinander angewiesen – sind also nicht von Natur aus vollständig an die Umgebung angepasst! Der Glaube an etwas, das es in der realen Welt nicht gibt (Bsp. Gott od. Geld), sei zudem ein Selektionsvorteil. Das Narrativ verhindere oder bewirke die neue, notwendige Anpassung an veränderte Erfahrungen und Verhältnisse.
Dabei spiele es eine Rolle, dass diese Erfahrungen äußere und innere Grenzen aufzeigen (‚Frames‘ – verstanden als Muster der Wahrnehmung und des Denkens). Transformation wäre möglich durch Anerkennung des Gegebenen (Vorgefundenen) zugleich mit dem Erkennen der Gelegenheiten (Möglichkeiten) das Unvollkommene zu transformieren.
Das Bild der Wendeltreppe könne hier verdeutlichen: Entwicklung (was angelegt noch nicht sichtbar ist) statt Wachstum. Als konkrete Beispiele erwähnte der Gast: Fasten und Schweigen, d.h., im freiwilligen Verzicht entstehe Raum für Neues, Unerwartetes.
Der persönliche Teil der Transformation wird meist dem systemischen gegenübergestellt: zwar kann der Einzelne (Konsument) in seinen Kaufentscheidungen ein Signal setzen, aber eine Veränderung vom System her (angeblich zu 80% für den Status Quo verantwortlich) sei unwahrscheinlich. Der CEO wird nur in nachhaltige Produkte investieren, wenn er damit (mehr) Geld verdienen kann. Die Praxis sehe aber so aus, dass die nachhaltigen Unternehmen eine wesentlich geringere Rendite erwirtschaften würden als die anderen (ca. 1-1,5%).
Woher soll also das Geld kommen für nachhaltige Projekte im globalen Süden, wo Konsum und Fußabdruck stetig steigen im Streben nach dem sog. westlichen Lebensstil? Warum sind die Photovoltaik-Paneele in Ghana und in Indonesien (mit viel Wind und Sonne) um ein Vielfaches teurer als in der Ersten Welt?
Brunnhuber verwendete die Unterscheidung von offener und geschlossener/autokratischer Gesellschaft (nach Popper) in seinen argumentativen Ausführungen, in denen es um Innovationen in Bezug auf nachhaltige Lebensstile und finanzpolitische Lösungsmaßnahmen ging. Er plädiert für freiwilliges, verantwortliches Verhalten in einer offenen Gesellschaft. Aber, stößt Freiwilligkeit, wenn es um nachhaltigen Lebensstil geht, auch in einem demokratischen Staat nicht oft an Grenzen? Sich auf die eigene Selbstverantwortung zu besinnen fällt oft nicht sehr schwer, wenn es um tägliches Brotverdienen geht? Ja, In diesem gewissen ‚Mehr‘ Sinn und Frieden zu finden – auf so manches Materielles zu verzichten -, das falle heute vielen Menschen sehr schwer. Obwohl, so Johannes Kaup, er diesen Geist auch in einer hart arbeitenden Bevölkerung schon erkennen könne, wenn es den Jungen jetzt vielfach mehr um eine Work-Life-Balance und die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit ginge, als um Aufstieg und Geld.
Nun, Ich finde, es ist an diesem Punkt wichtig zu wissen, dass Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber ein breites Wissen aus unterschiedlichen Fachrichtungen hat. Er ist nicht nur Ökonom und Psychiater, sondern auch Mitglied des Club of Rome und Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaften. Hauptberuflich ist er ärztlicher Direktor der Diakonie-Klinik für Integrative Psychiatrie, sowie Professor für Psychiatrie und Professor für Psychologie und Nachhaltigkeit an der Hochschule Mittweida in Sachsen.
Als Mensch beschäftigt er sich stark mit transformativen Lösungsansätzen, mit denen er hofft, insbesondere die Welt des Geldes verbessern zu können. Er hat ein Konzept für eine digitale Parallelwährung entwickelt, das gezielt die Nachhaltigkeitsziele der United Nations (SDGs) finanzieren können soll.
Ein Video zu dem Projekt „Financing our Future“ nachfolgenden:
Brunnhubers Rede „Financing our Future“ vor der UN in Genf ist auf Youtube zu sehen. Das Projekt ist eine praktische Weiterentwicklung des Berichtes vom Club of Rome „Geld und Nachhaltigkeit – von einem überholten Finanzsystem zu einem monetären Ökosystem“ (2013), an dem Brunnhuber mitgewirkt hat. Brunnhuber ist Mitglied der FDP und war Schüler von Ralf Dahrendorf.
Mehr Informationen zu seiner Person und Kontaktdaten auf: www.stefan-brunnhuber.de
Passendes Club Of Rome Event am 30. Januar 2023 zu “Europäische Partnerschaften für grünen Wasserstoff mit Afrika: Deutschland – Namibia und Österreich – Tunesien”